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Notation. Schnittstelle zwischen Komposition, Interpretation und Analyse

von Philippe Kocher (Hg.), © 2024 Gesellschaft für Musiktheorie, Berlin

PDF Zitiervorschlag

Ulrich Kaiser

Blended Learning im Musiktheorieunterricht

Der folgende Beitrag ist in vier Teile gegliedert. Am Anfang stehen eine Definition des Begriffs Blended Learning (BL) sowie grundsätzliche Überlegungen zum Thema und zu Open Educational Resources (OER). Der zweite Teil skizziert Hauptseminare, die in den letzten Jahren nach dem Konzept des Blended Learning gestaltet worden sind, und im dritten Teil werden die für einen solchen Unterricht erforderlichen Kompetenzen und Kosten diskutiert. Den Abschluss bilden Ausführungen zur Open Music Academy (openmusic.academy) sowie zu den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen eines Blended­Learning-Unterrichts für das Fach Musiktheorie.

Definition, grundlegende Überlegungen und OER

Definition

Als BL, integriertes oder hybrides Lernen werden Unterrichtsformen bezeichnet, die unterschiedliche Methoden und Medien wie z.B. Präsenzunterricht und E-Learning kombinieren. 1 Unter E-Learning werden dabei »alle informations- und kommunikations-technologisch unterstützten Lehr-/Lernansätze« verstanden, »die (potenziell) keinerlei Präsenzanteile enthalten und somit räumlich und/oder zeitlich flexibel durch den Lernenden genutzt werden können«. 2 »Der Mehrwert einer funktional aufeinander abgestimmten Kombination der Präsenzlehre mit digitalen Elementen besteht darin, dass Vorteile der jeweiligen Lehrmodi und Methoden erhalten bleiben und deren Nachteile abgefedert oder vermieden werden können.« 3

Sucht man den Begriff BL im Rahmen einer wissenschaftlichen Recherche, findet man überwiegend Online-Publikationen sowie englischsprachige Beiträge in Journalen wie Contemporary Educational Technology oder Journal of Educational Technology & Society . Deutlich weniger Treffer lassen sich in deutschsprachigen Zeitschriften nachweisen, so z.B. Beiträge in der bis 2011 verlegten Zeitschrift Personal sowie in Publikationen der Germanistik und Rechtswissenschaften. Im schriftlichen Diskurs der Musikpädagogik scheint das ursprünglich der Ökonomie entwachsene Thema – mit Ausnahme vereinzelter Beiträge – entweder nicht (oder noch nicht) angekommen zu sein. Lässt man sich bei Begriffen wie Reformpädagogik und E-Learning jedoch nicht von einer scheinbar unverträglichen Semantik irritieren, kann man eine Schnittmenge dieser Bereiche bestimmen, die sich als BL verstehen lässt. 4

Grundlegende Überlegungen

Es ist ein Charakteristikum der modernen Wissensgesellschaft, dass einer wachsenden Menge an Informationen eine begrenzte Menge an Lernzeit gegenübersteht. Auf der einen Seite explodiert unser Wissen aktuell in nahezu allen Disziplinen aufgrund von Spezialisierungen und technischen Entwicklungen, auf der anderen Seite stößt menschliches Lernen beim Thema Zeit an eine unüberwindliche Grenze. Selektieren und Bewerten von Informationen werden damit nicht nur zur großen Herausforderung für jeden einzelnen Menschen, sondern auch zum Problem des Erziehungssystems im Allgemeinen und der Musikhochschulen im Besonderen. Im Fach Musiktheorie hat die Informationsmenge in den letzten 20 Jahren aufgrund der Inklusion neuer Themen wie z.B. der Pop-, Rock- und Filmmusik sowie einer historischen Forschung ständig zugenommen. In einem Lehramtsstudiengang in Bayern zählen zu den Themen einer schriftlichen, fünfstündigen Klausur des ersten Staatsexamens die Themen Kontrapunkt (16. Jahrhundert), Fuge oder Passacaglia (erste Hälfte des 18. Jahrhunderts), Sonate (zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts), Lied, Chorlied oder Charakterstück (19. Jahrhundert), Reihenkomposition, Jazz-Arrangement und Pop-/Rocksong (20. Jahrhundert), von denen ein Thema zur Bearbeitung auszuwählen ist. Für die Analyse sind sogar alle zwischen 1430 und heute komponierten Werke mit einer zeitlichen Dauer von weniger als fünf Minuten examensrelevant. Dieser Stofffülle steht eine im Zuge der Bologna-Reform halbierte Unterrichtszeit gegenüber, das heißt: Im gymnasialen Lehramt sind in Musiktheorie derzeit vier Proseminare à 45 Minuten sowie drei Hauptseminare à 90 Minuten zu belegen. Es ist offensichtlich, dass eine seriöse Behandlung der im Vorangegangenen genannten Stoffmenge unter diesen Bedingungen nicht möglich ist.

OER

Als Open Educational Resources (OER) werden kostenlos erhältliche und unter einer freien Kulturlizenz 5 veröffentlichte Lehr- und Lernmaterialien bezeichnet. Seit 2015 gibt es Handlungsempfehlungen der UNESCO, OER gezielt in den Hochschulen zu verankern, 6 ein Jahr später veröffentlichte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Richtlinien zur Förderung offener Bildungsmaterialien 7 und 2022 eine OER-Strategie für die Entwicklung digitaler Bildung. 8 Ist man nicht bereit, das eigene Unterrichtsgeschehen und ggf. Lernerfolge an den Erwerb kostenpflichtiger Publikationen zu koppeln, impliziert das Konzept des BL auch die Bereitstellung von OER. Die Entscheidung für OER kann dabei sowohl durch soziale als auch durch wirtschaftliche Überlegungen motiviert sein: Soziale Überlegungen nehmen eine freie Bildung in den Blick, zu der jeder Mensch in jeder Gegend via Internet uneingeschränkt Zugang haben sollte. Wirtschaftliche Überlegungen werden in der Regel vom Gedanken an die Leistungsfähigkeit einer aktiven Community sowie den Möglichkeiten der Wiederverwendung, einer zeitnahen und kostengünstigen Aktualisierung sowie Anpassung von Lernmaterialien geleitet.

Seminarkonzept und -gestaltungen

Musiktheoretische Hauptseminare im Lehramtsbereich an der Hochschule für Musik und Theater in München (HMTM) werden von 10 bis 15 Personen belegt und sind darüber hinaus nicht mit einer Anwesenheitspflicht ausgestattet. Während sich unter diesen Bedingungen gelenkte Unterrichtsgespräche zur musikalischen Analyse noch relativ gut durchführen lassen, ist die Arbeit an Stilübungen problematisch, weil der Unterricht lediglich eine Demonstration der Vorgehensweise zum Erstellen von Stilübungen erlaubt. Selbst unter der Voraussetzung, dass man den Studierenden einen Teil der Seminarzeit als Übungszeit zur Verfügung stellt, hat sich die Arbeit an Stilübungen in meinem traditionell gestalteten Unterricht weder als nachhaltig noch effektiv erwiesen. Die dargelegten Probleme sowie mein Unwille, in Hauptseminaren satztechnische und terminologische Grundlagen mehr als einmal zu wiederholen, haben mich zum BL und daran ausgerichteten Seminargestaltungen geführt:

  • Für mein Hauptseminar Musik um 1600 , das auf die entsprechenden Tonsatz- und Analyse-klausuren im Staatsexamen vorbereitet, stelle ich umfängliche OER auf meiner Website musikanalyse.net 9 bereit. Neben einer Erläuterung der Begriffe Kontrapunkt und Harmonielehre sowie einer Einführung zum Kontrapunkt des 16. Jahrhunderts existieren umfangreiche Tutorials zum zweistimmigen und mehrstimmigen Kontrapunkt, zur Technik des Fuggir la cadenza , zur Improvisation zwei- und dreistimmiger Sätze sowie zur Kadenzdisposition und formalen Gestaltung eines ganzen motettischen Satzes. Ergebnis der aufeinander aufbauenden Tutorials ist eine anhand einer alten Staatsexamensaufgabe ausgearbeitete Musterlösung bzw. eine vollständige vierstimmige Ausarbeitung.

    • https://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-harmonielehre/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-einfuehrung/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-zweistimmig/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-mehrstimmig/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/fuggir-la-cadenza/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/impro-kontrapunk-16jh/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-formale-gestaltung/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-synkopendissonanz/

  • Das Hauptseminar Passacaglia und Musik des Generalbasszeitalters wird auch zur Vorbereitung der Passacaglia-Aufgabe im Staatsexamen Tonsatz gewählt. Für dieses Seminar werden OER zur Harmonisierung einer Bassvorgabe, ein OpenBook zur Oktavregel und darüber hinaus Anleitungen zu verschiedenen Satzmodellen bzw. Sequenztypen bereitgestellt. Des Weiteren gibt es Tutorials für die klangtechnischen Grundlagen und zur formalen Gestaltung einer Passacaglia. Auch am Ende der beiden zuletzt genannten Anleitungen steht eine anhand einer alten Staatsexamensaufgabe vollständig ausgearbeitete Musterlösung.

    • http://oer-musik.de/harmonielehre

    • https://musikanalyse.net/tutorials/regola/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/satzmodelle/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/passacaglia-1/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/passacaglia-2/

  • Zu den Grundlagen des Hauptseminars Fuge und Konzert im Werk J.S. Bachs werden die bereits erwähnten Tutorials zu Satzmodellen/Sequenzen angeboten, darüber hinaus gibt es Anleitungen zur Themenbeantwortung, zum Schreiben einer Exposition, zum Entwerfen von Zwischenspielen sowie zur formalen Disposition einer Fuge und zur Schlussgestaltung. Am Ende der aufeinander abgestimmten Tutorials steht wie gehabt eine Musterfuge, wobei eine zweite komplette Beispielfuge anhand eines weiteren Themas entwickelt wird, was die Arbeitsschritte noch einmal quasi in Zeitraffer veranschaulicht.

    • https://musikanalyse.net/tutorials/satzmodelle/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/fuge-1/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/fuge-2/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/fuge-3/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/fuge-4/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/fuge-5/

  • Auch das Hauptseminar Formfunktionen der Sonatenform begleitet ein vollständiger Lehrgang zur Stilübung bzw. zum Schreiben eines Sonatensatzes. Ein Tutorial beschäftigt sich mit den Formfunktionen Hauptsatz und Überleitung , ein weiteres mit den Formfunktionen Seitensatz und der Schlussgruppe . Diesen Anleitungen folgen zwei Tutorials zu Durchführungs- und Reprisenstrategien. Auch bei diesem Thema entsteht in den aufeinander aufbauenden Lehrgängen eine Musterlösung bzw. ein vollständiges Sonaten-Allegro. Eine dreiteilige Einführung in die Formanalyse am Beispiel Sonate sowie drei 45-minütige Video-Vorlesungen zur Analyse von Sonatenmusik flankieren die praktischen Anleitungen.

    • https://musikanalyse.net/tutorials/sonate-stiluebung-1/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/sonate-stiluebung-2/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/sonate-stiluebung-3/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/sonate-stiluebung-4/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/sonate-stiluebung-5/

    • https://musikanalyse.net/tutorials/formanalyse-am-beispiel-sonate/

    • https://openmusic.academy/docs/mQ8WGsQtwqucwWepfFkUGC/

Zu Beginn dieser Seminare erfolgt der Hinweis, dass ein BL-Unterricht dem Unterricht im instrumentalen Hauptfach formal ähnlich ist, weil in ihm die Besprechung der Arbeitsergebnisse häuslichen Übens im Vordergrund steht. Wird nicht geübt, bleibt die Aufgabe häuslichen Übens weiterhin bestehen, während sich der Unterricht der Erörterung technischer Fragen, der Erweiterung vorhandener Möglichkeiten oder Behandlung neuer Themen widmen kann. Deswegen wird in BL-Seminaren an Stilübungen – analog zum Instrumentalunterricht – nur dann gearbeitet, wenn eine Auseinandersetzung mit den im Internet frei verfügbaren Tutorials außerhalb der Unterrichtszeit erfolgt ist und mindestens ein Arbeitsergebnis zur Besprechung vorliegt. Um ein effektives Besprechen der zu Hause erstellten Stilübungen zu gewährleisten, sind diese spätestens einen Tag vor der entsprechenden Seminarsitzung der Lehrperson in digitaler Form zuzuschicken, wozu sich das offene Dateiformat MusicXML anbietet, das dem Austausch von Musiknoten dient und dessen Ex- und Import von allen bekannten Notationsprogrammen unterstützt wird. Digitale Bilder handschriftlicher Ausarbeitungen werden nicht angenommen und auch nicht korrigiert. 10 In den Sitzungen werden alle vorhandenen Stilübungen präsentiert und von den Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern sowie von der Lehrperson mit Korrekturvorschlägen versehen.

Kompetenzen und Kosten

Philipp Ahner weist in einem in der Zeitschrift Üben & Musizieren erschienenen Beitrag zum BL an Musikschulen 11 darauf hin, dass für die Konzeption und Durchführung von BL »neben pädagogischen und künstlerischen Kompetenzen für den Präsenzunterricht auch Kenntnisse und Fähigkeiten bezüglich digitaler musikbezogener Technologien« benötigt werden. In ihrem Beitrag »Technological Pedagogical Content Knowledge: A Framework for Teacher Knowledge« visualisieren Punya Mishra und Matthew J. Koehler 12 die für Lehrpersonen erforderlichen Kompetenzen über das sogenannte TPAK -Modell. In diesem Modell wird das Ineinandergreifen der für BL erforderlichen technologischen (TK), pädagogischen (PK) und fachwissenschaftlichen (CK) Kompetenzen veranschaulicht (Abb. 1).

Abbildung 1 TPAK-Modell nach Mishra/Koehler 2006.

Technologische Kompetenz

Fachwissenschaftliche und pädagogische Kompetenzen beim Lehrpersonal werden in diesem Beitrag als selbstverständlich vorausgesetzt und nicht weiter erörtert. Gegenstand der folgenden Überlegungen ist die technologische Kompetenz, die zum Erstellen ansprechender Unterrichtsmaterialien erforderlich ist. Dazu gehören beispielsweise:

  • ein sicherer Umgang mit Notationsprogrammen (zum Erstellen von Notengrafiken und um z.B. im Unterricht schnell Vorschläge der Studierenden umsetzen zu können),

  • gute Kenntnisse zur Bildbearbeitung (von Pixel- und Vektorgrafiken, z.B. zum Erstellen anschaulicher Analysediagramme),

  • Kenntnisse in einer Digital Audio Workstation (z.B. zur Bearbeitung von Audiodateien oder Herstellung von Audiomanipulationen) und

  • gute Kenntnisse zum Thema Desktop-Publishing und für die Videobearbeitung (zum Erstellen von ansprechenden Arbeitsbögen, Videoframes und Lernvideos).

Urheberrecht

Weitere notwendige Kenntnisse betreffen das Urheberrecht und die aktuelle Rechtsprechung. 13 Kenntnisse in diesem Bereich, die sich keinem Feld des TPAK­Modells semantisch passend zuordnen lassen, sind beim künstlerisch-wissenschaftlichen Personal an Kunst- und Musikhochschulen selten ausgeprägt. Obwohl man dafür Verständnis haben könnte, weil das Thema komplex und ständig in Bewegung ist, bleibt dieser Umstand problematisch, weil Irrtümer, sofern diese »vorsätzlich oder fahrlässig« 14 erfolgen, disziplinarrechtliche Konsequenzen haben und empfindliche Strafen nach sich ziehen können.

Kosten

Ein verbreiteter Irrtum besteht in der Annahme, OER seien kostenlos, denn kostenlos sind freie Lehr- und Lernmaterialien nur aus der Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer. Die Kosten von OER werden jedoch sichtbar, wenn die aufgewendete Arbeitszeit, Investitionen für Soft- und Hardwareausstattung sowie die Bereitstellung der Inhalte im Internet in den Blick genommen werden. Die zuletzt genannten Posten lassen sich für Lehrende durch Rückgriff auf institutionelle E-Learning-Plattformen wie Moodle, ILIAS und Co. sowie durch Verwendung kostenloser Software oder Open-Source-Programme für Bildbearbeitung, 15 Desktop-Publishing, 16 Herstellung von Videos, 17 die Arbeit mit einer DAW 18 oder mit einem Notensatzprogramm 19 einsparen. Ein Kostenpunkt lässt sich jedoch nicht eliminieren: die aufgewendete Arbeitszeit für die Erstellung des OER-Contents. Dabei liegt die Arbeitszeit für BL meiner Erfahrung nach weit über dem Zeitaufwand für eine analoge Unterrichtsvorbereitung und lässt sich – zumindest aktuell an der HMTM – nicht im hauptamtlichen Deputat abbilden. Der Kostenfaktor bietet nicht zuletzt eine Erklärung dafür, warum BL in musikpädagogischen Kontexten bislang keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle spielt.

ELMU und OMA: Möglichkeiten, Bedingungen und Grenzen

Die Seite elmu.online (ELMU) war ein E-Learning-Angebot für OER zur Musik, das 2018 mit Unterstützung der Hochschule für Musik und Theater München, der Castringius Kinder & Jugend Stiftung München sowie der Erika und Georg Dietrich Stiftung initiiert werden konnte. Im selben Jahr wurde der Verein ELMU Education e.V. zur Förderung der musischen Bildung sowie zur Entwicklung und Unterhaltung der Website gegründet. 2019 wurde der Verein als gemeinnützig anerkannt.

2021 erhielt der Projektantrag OER Lernplattform für Musik (oer-lfm) 20 der Hochschule für Musik und Theater München von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre 21 eine Förderzusage, um das ELMU-Angebot skalieren und in ein modernes Lernmanagementsystem (LMS) überführen zu können. Das LMS sollte in einem öffentlichen Bereich eine standortübergreifende kollaborative Zusammenarbeit an OER bzw. eine Open Educational Practise (OEP) für den Bereich der Musik und in einem internen Bereich einen Musikunterricht in geschützten Räumen ermöglichen. Aus diesem Projekt ist die Open Music Academy 22 (OMA) hervorgegangen, die seit März 2022 unter der Domain openmusic.academy verfügbar ist. 2022 wurde eine ständige Weiterleitung von der Domain elmu.online auf die openmusic.academy eingerichtet, ein Jahr später hat sich der Verein ELMU Education e.V. in Open Music Academy Education e.V. 23 umbenannt. Bis Mitte 2024 ist die Hochschule für Musik und Theater München zur Trägerschaft der Open Music Academy verpflichtet (Stand: 10/2023), längerfristig könnte allerdings dem Verein die Aufgabe zukommen, die Entwicklung der Software zu fördern 24 und die Bereitstellung des Angebots zu sichern.

Die Idee zur Open Music Academy folgt etablierten Vorbildern wie Wikipedia oder Serlo bzw. dem Gedanken des Community-Driven-Content unter Creative-Commons-Lizenz (Standardlizenz CC BY-SA). 25 Ziel ist es, dem künstlerischen, pädagogischen und wissenschaftlichen Personal der Musikhochschulen, Musikschulen und auch allgemeinbildenden Schulen für die kooperative und interdisziplinäre Zusammenarbeit an musikalischen OER-Lerninhalten eine Plattform zur Verfügung zu stellen, welche den speziellen Bedürfnissen des musikalischen Lernens optimal entgegenkommt und gleichzeitig kaum technische Anforderungen an Lehrende und Lernende stellt. Die Hoffnung besteht darin, dass in geschützten Räumen Materialien für den Musikunterricht entwickelt und anschließend im öffentlichen Bereich als OER zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise könnte das in der Regel noch exklusive und kostenintensive Musiklernen durch ein kostenloses und frei zugängliches Angebot erweitert werden.

Möglichkeiten

Eine der Möglichkeiten, die BL bietet, liegt in dem Auslagern des individuellen Übens aus den Lehrveranstaltungen. Für den Fall, dass keine Stilübungen erarbeitet werden, lassen sich freiwerdende Kapazitäten und zeitliche Ressourcen sinnvoll für Desiderate bzw. Themen nutzen, die wünschenswert sind und bisher keinen Eingang in die Curricula gefunden haben.

Eine weitere Möglichkeit des BL, die insbesondere durch die Corona-Pandemie im Sommersemester 2020 sichtbar geworden ist, liegt darin, dass OER eine sehr flexible Unterrichtsgestaltung ermöglichen. Es war eine neue Erfahrung, dass ein digitales Angebot die Selbstständigkeit bei Studierenden fördern kann, wenn es von beliebigen Orten und zu selbst gewählten Zeiten abrufbar ist. Selbstverständlich eignen sich Online-Angebote nicht als Ersatz für Präsenzveranstaltungen, jedoch bieten digitale Angebote Vorteile, auf die auch ein analoger Unterricht im Fach Musiktheorie in Zukunft nicht verzichten können wird. Denn OER ermöglichen Studierenden ein zeitlich flexibleres Lernen, sichern auf diese Weise die Studierbarkeit von Studiengängen und erhöhen die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Studiengangabschlüsse.

Bedingungen

Eine Bedingung für den funktionierenden BL-Unterricht sehe ich in der Motivation der Studierenden, die sich angesichts vollgestopfter und verschulter Studiengänge meines Erachtens nur extrinsisch, das heißt, über Prüfungsrelevanz gewährleisten lässt. In Bayern existiert derzeit noch ein erstes Staatsexamen für das Lehramt am Gymnasium, das im Bereich Tonsatz vergleichsweise anspruchsvoll ist. Die Einsicht, die Ausarbeitung einer umfangreichen Stilübung üben zu müssen, stellt sich daher bei den Studierenden kurz vor dem Examen von selbst ein und OER werden in dieser Phase des Studiums erfahrungsgemäß dankbar angenommen und auch sehr häufig genutzt.

Die technologische Kompetenz der Lehrenden als Bedingung wurde bereits erwähnt, ebenso wichtig ist jedoch auch eine angemessene Ausstattung der Unterrichtsräume (Beamer oder Boards, Tablets, Keyboards, Kopfhörer usw.).

Nicht zuletzt hängt der Erfolg von Blended-Learning­Szenarien davon ab, ob es gelingt, den Online-Content sowie Inhalte der Präsenz-Lehrveranstaltungen didaktisch gewinnbringend aufeinander zu beziehen.

Grenzen

Denkt man über die Grenzen des BL nach, erscheinen diese dort, wo auch jede andere didaktische Konzeption an ihre Grenzen kommt: Das Lernen unserer Studierenden ist nicht kausal steuerbar. Natürlich sollte man versuchen, es durch didaktische Professionalität günstig zu beeinflussen. Einen kausalen Zusammenhang zwischen Unterrichtsmethode und Lernerfolg sehe ich jedoch nicht.

Literatur

  • Ahner, Philipp (2018), »Blended Learning. Ein Blick auf neue Unterrichtsformen für die digital-traditionelle Musikschule«, in: Üben & Musizieren 4/2018, 6–9. https://uebenundmusizieren.de/artikel/blended-learning/ (21.8.2021)
  • Bendel, Oliver (2018), »Blended Learning«, in: Gabler Wirtschaftslexikon . https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/blended-learning-53492/version-276579
  • Eichenberger, Harald (2008), Reformpädagogik goes eLearning: Neue Wege zur Selbstbestimmung von virtuellem Wissenstransfer und individualisiertem Wissenserwerb, München: Oldenbourg. https://doi.org/10.1524/9783486846126
  • Langenbach, Christian (2017), E-Learning an Hochschulen – kritische Bestandsaufnahme, Entwicklungslinien und Perspektiven , hg. von der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm. https://doi.org/10.34646/thn/ohmdok-660
  • Malina, Barbara (2015), Leitfaden zu Open Educational Resources in der Hochschulbildung. Empfehlungen für Politik, Hochschulen, Lehrende und Studierende , hg. von der Deutschen UNESCO-Kommission, Bonn. https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-01/DUK_Leitfaden_OER_in_der_Hochschulbildung_2015_barrierefrei-1.pdf (16.7.2020)
  • Mishra, Punya / Matthew J. Koehler (2006), »Technological Pedagogical Content Knowledge: A Framework for Teacher Knowledge«, in: Teachers College Record 108, 1017–1054. https://doi.org/10.1111/j.1467-9620.2006.00684.x
  • Wannemacher, Klaus (2016), Digitale Lernszenarien im Hochschulbereich , hg. von der Geschäftsstelle Hochschulforum Digitalisierung, Berlin. https://www.che.de/downloads/HFD_AP_Nr_15_Digitale_Lernszenarien.pdf (21.8.2021)
Inhaltsverzeichnis
  1. cover
  2. imprint
  3. Vorwort
  4. Writing Sound Into the Wind
  5. Zwischen Federkiel und digitaler Codierung: Musikalische Schrift als mediales Spannungsfeld
  6. Mathematische Remodellierung zur Erforschung der exakten Semantik einfacher konventioneller Notationssysteme
  7. Von Übernotation und Unternotation
  8. Notation und Analyse von Tonhöhenverläufen in Sprechmelodien
  9. Transición II by Mauricio Kagel
  10. Zwischen Freiheit und Intention – Zur Notation von Berios
  11. Handlungsraum oder Hürde?
  12. Von zu
  13. Notation, Interpretation, Improvisation
  14. Notation of an Archetype
  15. Unspielbare Musik
  16. Revolution, Edition, Produktion, Revision
  17. Ein Babel der Gehörbildung?
  18. Musik verstehen ohne Noten? Notationskonzepte für Schule und Musikschule
  19. Blended Learning im Musiktheorieunterricht
    1. Definition, grundlegende Überlegungen und OER
    2. Seminarkonzept und -gestaltungen
    3. Kompetenzen und Kosten
    4. ELMU und OMA: Möglichkeiten, Bedingungen und Grenzen
    5. Literatur
  20. Kontinua aus Diskontinuitäten
  21. »Ein Kaleidoskop im klassischen Rahmen«
  22. »[…] aus mehr oder weniger zerklüfteten Bruchstücken große, weitläufige musikalische Formgebilde […] bauen.« Klanglich-aufführungspraktische Gestaltung makroformaler Zusammenhänge in Tonaufnahmen von György Kurtágs für Sopran und Violine op. 24
  23. Towards a ‘Treatise’ of 7-Limit Harmony
  24. Jenseits von Funktion und Konstrukt Teil 1
  25. Beobachtungen zur Verlaufsgestaltung klassischer Sonatenexpositionen
  26. »Muti una volta quel antico stile«. Aspekte einer Quintfall-Passage bei Luca Marenzio