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Stimmkunst im 21. Jahrhundert

von Martina Sichardt, Gesine Schröder, Constanze Rora,

„The Alienation of the Singer from Her Gattungswesen“

Andreas Eduardo Franks Restore Factory Defaults (2017) als Echoraum zu La fabbrica illuminata (1964) von Luigi Nono

Anne-May Krüger und Andreas Eduardo Frank

Die Aufführungspraxis von Kompositionen mit sogenannten fixed media stellt – insbesondere mit zunehmender zeitlicher Entfernung von ihrer Entstehung – häufig große Herausforderungen an die Interpretierenden: Technische, ästhetische und mitunter auch soziopolitische Aspekte werfen Fragestellungen auf, die es in interpretatorischen Entscheidungen zu berücksichtigen gilt. Anhand von Luigi Nonos La fabbrica illuminata für Sopran und vierkanaliges Zuspielband von 1964 wird diese Problematik besonders deutlich. Die folgenden Ausführungen sind das Ergebnis einer musikwissenschaftlichen wie musikpraktischen Auseinandersetzung mit dieser Komposition, die den Fokus zunächst auf eine konzeptuelle Besonderheit der Fabbrica legt: die in dramaturgischer Hinsicht zentrale Identität von Live-Stimme und Stimme auf dem Zuspielband. Stammten beide ursprünglich von der Sängerin Carla Henius, so sind heute aufgrund der zwingend notwendigen Verwendung des historischen Zuspielbands jeweils unterschiedliche Stimmen zu hören: die von Henius auf dem Band sowie die der jeweils live singenden Interpretin. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus auf der Rezeptionsebene und gäbe es Alternativen zur mittlerweile etablierten Aufführungstradition?

In einem weiteren Schritt wurde die Auseinandersetzung über den Bereich der Interpretation hinaus um den der Kreation erweitert. Andreas Eduardo Franks Komposition Restore Factory Defaults entstand als Auftrag der Sängerin und Musikwissenschaftlerin Anne-May Krüger und reflektiert diverse Aspekte der zu Nonos Fabbrica erfolgten Forschungsarbeit. Dabei nimmt sie u. a. Problemstellungen auf, die sich in der Fabbrica nicht kompromissfrei auflösen lassen, hier jedoch kreatives Potenzial entfalten. Die 2017 uraufgeführte Komposition lässt sich damit als künstlerischer Beitrag zum Diskurs um die Aufführungspraxis von Werken mit medialen Zuspielen verstehen.